Wer oder was ist Unhošť? Und wo? 30. März 2019 Autor: Herbert Orlinger www.sokolunhost.estranky.cz © Herbert Orlinger
Frühes Frühstück vor dem Frühlingsmarathon, ab morgen haben wir Sommerzeit. Um 05h10 fahre ich los, knapp drei Stunden später bin ich am Ziel. Etwa 20km westlich von Prag, nicht weit vom Flughafen der tschechischen Hauptstadt, dem Letiště Václava Havla Praha. Herrschte auf der Anreise via Písek über viele km starker Nebel, scheint hier die Sonne, noch ist es kalt, knapp über Null. Ich erkunde die Straßen in Start- und Zielnähe und finde einen kostenlosen Parkplatz, an dem die Rennstrecke vorbeiführen wird. Ui, das sieht heute nach Höhenmetern aus.
Jiří "BEN" Pucholt ist der eifrige Veranstalter von den Unhoschter Falken (= Sokol Unhošť), heuer schon zum neunten Mal. Die Mitglieder des T.J. Sokol Unhošť kommen einem bei tschechischen Marathons immer wieder unter, sie sind erkennbar an den blaugelben Shirts und Sporthosen. Unhoscht hat knapp 4.800 Einwohner und so wie die Nachbargemeinde Kladno verhältnismäßig viele Marathonläufer. So werden von den Vereinen in Tschechien viel mehr Marathons veranstaltet als in Österreich, die Auswahl ist enorm. Die Teilnehmerzahl ist meistens überschaubar. Irgendwie scheinen sich alle zu kennen, man trifft sich so ziemlich jedes Wochenende zu einem offiziellen Marathonlauf irgendwo zwischen Ostrau und Karlsbad. Sogar ich werde mittlerweile von einigen mit Handschlag oder einem Kopfnicken begrüßt, wenngleich wegen des sprachlichen Unterschieds der Erfahrungsaustausch sich auf ein Minimum beschränkt.
Das Vereinslokal war einmal eine Schule, erbaut 1907. Reich dürfte der Verein nicht sein. Ich bin einer der ersten der sich heute die Startnummer holt. „Ah, unser österreichischer Freund!“ werde ich begrüßt. Umgerechnet € 14,- beträgt das Startgeld, zum Leihchip bekomme ich für dessen Montage einen Kabelbinder. Im Turnsaal kann man sich umziehen. Ben, bisher kannten wir uns nur vom Sehen, erklärt mir kurz die Strecke, 10x 20 Höhenmeter sollen es sein.
Bei wolkenlosem Himmel und 10°C starten um 10Uhr 161 TschechInnen und ich. Es geht hinunter, vorbei an meinem Auto und Anstieg, erst etwas steiler, dann flacher. Lauter ein- bis zweistöckige Häuser, dann ein Altersheim am Ortsende. Wieder ein leichter Anstieg, ein Güterweg. Links und rechts Sträucher, dahinter Felder. Ich will die erste Stunde an Miroslav Vostrý dran bleiben, dann wird man sehen. Gefälle und wieder leichter Anstieg, noch bevor die ersten 2km voll sind drehen wir um, zurück in den Ort. 200m bevor wir wieder am Start wären, biegen wir rechts ab in die Hájecká. Der Asphalt hier ist sehr bucklig. Wenn ich links in die Gasse runterblicke sehe ich da mein Auto stehen. Leichter Anstieg gefolgt von leichtem Gefälle, links rum, noch eine Linkskurve, ein Spielplatz und dann, mit Blick auf die Klosterkirche Peter und Paul vor mir, den hiesigen Wenzelsplatz hinauf. Dieser Abschnitt am Václavské náměstí erinnert mich sehr an den Hofberg in der Linzer Altstadt. Dieses Stück gehe ich vorsorglich um oben halbwegs frisch anzukommen, schließlich muss da ich in den nächsten Stunden 10 Mal hinauf.
Links auf die Prager Straße, kleine Hütchen markieren unseren Laufweg. Ansonsten ist die Straße durchaus viel befahren, vorbei am Heimatmuseum, km4. Auf Katzenkopfpflaster geht es auf den kleinen Masaryk-Platz und von da links runter in die Melicharova wo an deren Beginn die erste Runde beendet ist, Labestelle.
4,22km waren das, dafür habe ich 24‘14“ gebraucht. Ich nehme mir einen Becher, leider ist kaum was drinnen. Keine zwei Finger breit eingeschenkt, als wäre es teurer Whisky. Noch lebe ich ja von meinem Powerade in der Hand. „ Und hier kommt unser Gast aus Linz“, höre ich. Dem Streckensprecher macht es große Freude, mein Erscheinen auf deutsch zu kommentieren. Das wird er fast jedes Mal machen. Heute bin ich der Exote. Da bei Start und Ziel gibt es sogar einige Zuseher die uns anfeuern, und da und dort eine junge Mutti vom Spielplatz aus, ansonsten haben wir es ziemlich ruhig.
Also wieder die Melicharova runter, vorbei an meinem Auto, rauf und so weiter. Hier haben sich Eltern mit kleinen Kindern versammelt, 50 Personen vielleicht, es wird etwas gefeiert. Einer trägt gerade vier Halbe Bier aus dem Gasthaus und will damit über die Straße. Es ist eh schon fast halb elf! Als ich ein bisschen das Tempo raus nehme, geht es mir gleich besser. Den einen Mirsolav sehe ich vor mir, den Mirsolav Krumer bei der Wende hinter mir. Unsere Namen sind in diversen Ergebnislisten schon mehrfach in unterschiedlicher Reihenfolge knapp nacheinander verewigt. Wegen des langen Gegenlaufbereichs kann man gut seine Mitstreiter studieren. Tatsächlich sind weitere alte Bekannte darunter. Bei etwa km7 reicht es mir, der eine hinter mir tritt mit einem Fuß auf dass es nur so klescht, der andere keucht als hätte sein letztes Stündlein geschlagen. Davon will ich mich absetzen, ich erhöhe das Tempo und bin sie los. Es läuft erstaunlich gut. Noch bevor ich mit der zweiten Runde fertig bin, überrunden mich die zwei schnellsten Halbmarathonis. Ondřej Čadek wird den HM in 1h19:11 gewinnen. Die beiden Miroslavs sind längst hinter mir, auf Dauer kann meine Tempoerhöhung aber nicht funktionieren. Ich spüre wie meine überschüssigen Kräfte schwinden. Ich laufe ein Tempo, als wäre es flach. Ist es aber nicht. Kurz vor Ende von Runde 4 nehme ich ein PowerGel und fülle an der Labe meine Flasche wieder auf. Das dauert leider ziemlich lange, denn der Inhalt vieler Becherchen passt in meine 0,5-l-Flasche, es wird erkennbar wärmer. Zu Anfang wehte noch frischer Wind, das ist nun vorbei. Wenn es geht, laufe ich im Schatten. Halbmarathon nach 2h08, sub 4h30 wird heute wohl nichts, so wie ich gerade meine Oberschenkelmuskeln spüre. Um sie nicht komplett zu überfordern muss ich langsamer werden. An Teilnehmern die in etwa mein Tempo laufen kann ich erkennen, wie es denen geht. Ähnlich wie mir, die haben auch schon zu kämpfen!
Fast alle Halbmarathonis sind nun im Ziel, da und dort wird ein Parkplatz frei, auf der Strecke ist nun mehr Platz. Das ist gut, denn auf dem Güterweg ist doch relativ reger Autoverkehr, nicht alle Lenker sind geduldig. Besonders unangenehm fallen wir zwei gar nicht mehr so junge rücksichtslose Lenkerinnen auf. An den Fluglärm über mir habe ich mich schon gewöhnt, so nahe dem Flugplatz sind das alles Tiefflieger.
Irgendwann kommt der Keucher von hinten, ich lasse in gerne vorbei. Ich habe die nächsten Wochen noch einiges vor, ich sollte mir die Kräfte etwas einteilen. Man ist schließlich keine 57 mehr! Einmal nehme ich mir eine Prise Salz und einmal ein Keks. Nach der achten Runde mein zweites PowerGel und ein bisschen Orange, ansonsten ernähre ich mich flüssig.
In Runde 9, ich habe etwa 35km hinter mir, begegnet mir ein junger Bursch der mich schon einmal überrundet hatte. Der macht gar keinen guten Eindruck mehr. Nach wenigen Minuten sehe ich in wieder. Als ich von der Wende zurückkomme liegt er im Schatten, drei Leute kümmern sich schon um ihn, dann bleibt auch noch ein Auto stehen.
Als ich bei 4h06 meine letzte Runde beginne hake ich die sub 4h30 ab. Gesund ins Ziel, das ist es was zählt. Bei km39 fährt gerade ein Rettungsauto weg. Endlich die letzte Wende. Etwa bei km 41, nun wieder im Ort, feuert mich ein junges Mädchen an, die ist maximal acht Jahre, schätze ich. Kaum bin ich an ihr vorbei höre ich sie schon wieder. Es ist also jemand knapp hinter mir. Platz will ich keinen mehr verlieren.
Ich mühe mich in der Sonne über den buckligen Asphalt, die Oberschenkel schmerzen. Puste habe ich noch genug. Ich überhole sogar noch zwei „Kämpfer“. Beim Spielplatz gibt es noch etwas Schatten. Dann hinauf zur Peter-und-Paul-Kirche, diesmal laufe ich, ist ja der letzte Anstieg. Oben drehe ich mich um. Nicht weit hinter mir ist der Jan Dolejš. Den kenne ich! Günter Schlöglhofer hatte im Dezember 2017 am Bolevak-See in Pilsen einen furiosen Schlusssprint angezogen, da haben wir ihn kurz vor dem Ziel noch überholt.
Ich habe nur mehr 200m und bringe den Vorsprung auch ins Ziel. Mir wird gratuliert, ich bekomme ein Medaillchen und schon wird der kleine Kabelbinder an meinem Schuh durchgezwickt, ich bin entchipped. 4h35:02, vorigen April habe ich in Hamburg extra gewartet um mit einer 4h35er Zeit einzulaufen, heute hat es sich von ganz alleine ergeben.
Wie sehr ich geschlaucht bin merke ich erst, als ich mich im kühlen Turnsaal hinsetze. Sofort was essen! Frankfurter Würstel mit Senf und Brot, das kommt gerade recht. Unhoscht ist nix für Warmduscher, duschen muss man kalt, daher ohne Shampoo. Als ich angezogen bin, beginnen die Siegerehrungen, damit habe ich nun wirklich nichts zu tun. Ich packe meine Sachen zusammen und mache mich auf den Weg. „Ahoj“ und „Na shledanou!“ Bis irgendwann einmal!
Die 270km Heimfahrt vergehen zum Glück ereignislos. Um 18h40 bin ich wieder in Linz.
Der Sieger: Die Siegerin: Jan Karník 2h51:00 Iveta Bodnarová 3h30:58 63 Marathonfinisher (56m + 7w), 7 DNF, 90 Halbmarathonis Startgeld 14,- EURO (bzw. 350 CZK + 310 CZK fürs tschechische Mautpickerl): eine hügelige Strecke kleine Erinnerungsmedaille am blaurotweißen Band 1 Labestelle / Runde: Cola, Wasser, Iso, Kekse, Schokolade-, Orangen-, Bananenstücke, Salz Ziellabe: Getränk und Frankfurter Würstel Leihchip, Gratisparken auf den Straßen, kalte Dusche © Herbert Orlinger
I promised.
Flect, 28. 1. 2022 16:38